Heute Morgen stellte ich meine Antwort auf die Fragen einer Weinfreundin zur aktuellen Weinaktion des Unternehmens Lidl als offenen Leserbrief vor. Das nehme ich zum Anlass, um die zweite Aktion des Unternehmens zu beleuchten. Neben der Reise durch die französische Weinwelt, mit Weinen, die in den Filialen des Unternehmens erhältlich sind, wird parallel eine Reise durch Bordeaux beworben, mit Weinen, die exklusiv im Onlineshop erhältlich sind.
Das Ende des Weinfachhandel-Abendlands?
Sind die vorgestellten Weine des Onlineangebots noch typisch für einen Discounter? Weine, die wie der 2011er Château d'Yqem € 349,00 Euro kosten, (übrigens ein echter Kampfpreis) sprechen jedenfalls gegen das bisherige Image des Discounters, der bislang eher für Weine mit einem Durchschnittspreis unter € 3,00 bekannt sind.Im Prospekt zum Onlineangebot werden 77 Rot- und Weißweine aus dem Anbaugebiet Bordeaux sowie 2 Champagner beworben. Vom einfachen Weißwein für € 2,99, über so manchen namhaften Grand Cru bis zur Weißwein-Ikone für € 349,-- pro Flasche reicht die Bandbreite. Eines gleich vorweg: die Verkaufspreise von Lidl können sich sehen lassen. Sie liegen oftmals unter den Preisen von anderen Onlineanbietern, die ich stichprobenartig zum Vergleich herangezogen habe. Ob Lidl mit dem Verkauf der hochpreisigen Weine jedoch langfristig Erfolg hat, wird die Zukunft zeigen.
Ein klares Konzept bei der Auswahl der Weine lässt sich nicht erkennen, da diese aus unterschiedlichen Jahrgängen und Regionen stammen. Das lässt bei mir die Frage aufkeimen, wie die angebotenen Weine ausgewählt wurden, und wo die Reise langfristig hingehen soll. Ist das lediglich ein Versuchsballon, um auszuloten, ob sich neben den Spontankäufern in den Filialen auch versierte Weinfreunde für das Angebot begeistern lassen? Ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass so mancher Weinfachhändler nicht ganz so ruhig schlafen wird, bei der Konkurrenz die nun seitens des Discounters erwächst.
Richard Brampfield und Lidls Bewertungssystem
In den Filialen wirbt Lidl schon seit einigen Monaten großflächig mit dem Master of Wine Richard Brampfield. Seine Weinbewertungen sollen vermutlich suggerieren, dass die Weine des Discounters deutlich besser sind, als ihr landläufiger Ruf.Die Weinbewertungen von Brampfield werden in den Filialen an exponierter Stelle platziert und ich bin mir sicher, dass sie ihre Wirkung nicht verfehlen. Wenn schon ein echter Weinkenner für die Weine wirbt, müssen die schließlich gut sein, oder? Lidl geht dabei deutlich weiter als der Mitbewerber Netto Marken-Discount, der seinerseits noch recht verhalten mit dem Master Sommelier Frank Kämmer - als professionellem Weinberater - wirbt.
Apropos Bewertungen: Von den 79 beworbenen Positionen wurden lediglich 19 (24%) von Herrn Brampfield bewertet. Zu den Gründen für diese selektive Bewertung habe ich bereits im vorherigen Artikel gemutmaßt.
Vielen Weinfreunden ist das 100-Punkte-Bewertungssystem bereits von anderen Weinkritikern bekannt. So habe ich mir die im Prospekt angepriesenen Weine genauer angeschaut und mit den etablierten Bewertungen von Robert Parker und dem Fachblatt WineSpectator verglichen.
Das Ergebnis ist interessant: in 14 von 19 Fällen bewertete Brampfield die Weine besser als seine Kollegen, in einem Fall identisch und nur in 4 Fällen schlechter. So mancher wird sich vielleicht in seiner Meinung bestätigt sehen, dass "gekaufte" Weinkritiker kein objektiver Maßstab sind und lediglich den hohen Verkaufspreis legitimieren sollen. Da Weinbewertungen stets subjektiv sind, möchte ich Lidl nicht zwingend Kalkül unterstellen.
Was bleibt unterm Strich? Lidl versucht sich mit dem eigenen Weinkritiker bei den Spontankäufern zu profilieren, versierte Weinfreunde mit den Bewertungen zumindest neugierig zu machen und den Markt für das Onlinegeschäft mit Wein auszuloten. Und ich denke, dass ist aus Marketingsicht zumindest mit diesem Angebot gelungen.